Status: | Beschluss |
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Beschluss durch: | Steffen Regis |
Antragshistorie: | Version 1 |
C 10 - Schleswig-Holstein ist sicher für alle
Text
C. 10. Schleswig-Holstein ist sicher für alle
Zu einem Bundesland, in dem eine gerechte, weltoffene und vielfältige Demokratie
gelebt werden kann, gehört auch eine Innenpolitik, die diese Werte schützt.
Hierzu zählt die Arbeit der Polizei, der Justiz sowie des Verfassungsschutzes.
All diese Instanzen müssen das oberste Ziel verfolgen, unsere Gesellschaft zu
schützen und dabei gerecht und frei von Diskriminierungen zu handeln.
Um dieses Ziel zu stärken, wollen wir mehr Fort- und Weiterbildungen für die
Beschäftigten schaffen. Präventionsmaßnahmen schaffen ein Bewusstsein für die
Vielfalt unserer Gesellschaft.
Darüber hinaus setzen wir den Kurs der Innenpolitik des Landes auf eine klare
Kante gegen Rechts. In diesem Bereich sorgen wir dafür, dass sowohl durch
Prävention als auch durch aktives Handeln rechten und menschenfeindlichen
Strömungen konsequent begegnet wird.
C. 10. 1. Polizei
Unsere Polizei ist bürgernah und lösungsorientiert. Wir stehen für eine
Sicherheitspolitik, die sich an Fakten und Wissenschaft orientiert. Die Polizei
in Schleswig-Holstein benötigt eine angemessene personelle und materielle
Ausstattung, eine zeitgemäße und zukunftsfeste räumliche Unterbringung, die
notwendige digitale Infrastruktur sowie eine zukunftsfähige Aus- und
Fortbildung.
Wir haben bereits auf den Weg gebracht, dass die Qualität der Ausbildung in
Eutin und Altenholz in den letzten Jahren gesteigert werden konnte. Dennoch
halten wir es für erforderlich, das Anforderungsprofil für angehende
Polizist*innen weiterzuentwickeln.
Wir wollen keine Aufrüstung der Polizei mit immer weiteren Waffensystemen. Wir
wollen deeskalierende Inhalte, politische Bildung, digitale Kompetenzen und eine
Sensibilisierung im Umgang mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die
Förderung der Interkulturalität wollen wir weiter ausbauen und sicherstellen,
dass Trainings und Übungen wirklich stattfinden. Regelmäßige Supervision und
Nachsorge, zum Beispiel nach besonders belastenden Einsätzen, wollen wir stärken
sowie eine kritische Fehlerumgangskultur, insbesondere auf Leitungsebene,
aufbauen. Die Ergebnisse und Empfehlungen des Untersuchungsausschusses zu
Missständen in Teilen unserer Landespolizei müssen durch unsere Landespolizei
umgesetzt werden. Wir setzen uns aktiv dafür ein, dass das frühzeitige Erkennen
und Sanktionieren jeglicher Form diskriminierender, menschenverachtender oder
rassistischer Tendenzen innerhalb der Landespolizei Priorität hat und
unterstützen die Maßnahmen zur Stärkung der demokratischen Resilienz.
Um Racial Profiling einer stärkeren Kontrolle zu unterziehen, wollen wir
Kontrollquittungen, die bei Identitätskontrollen im öffentlichen Raum
ausgestellt werden müssen, einführen.
Wir sind auch weiterhin enttschieden gegen eine sich als sicherheitspolitisch
kontraproduktiv erwiesene anlasslose Massenüberwachung aller Bürger*innen durch
Vorratsdatenspeicherungen und setzen stattdessen auf die zielgerichtete Abwehr
konkreter Gefahren durch die Polizei. Auch den bisherigen mit den Vorgaben des
Bundesverfassunsgerichts nicht in Einklang zu bringenden Einsatz der sogenannten
"Quellen-TKÜ" und der "Online-Durchsunchung" lehnen wir ab. Statt mit
Sicherheitslücken staatlicherseits zu handeln, wollen wir diese schnellstmöglich
schließen. Hierfür setzen wir auf eine staatliche Meldepflicht. Den Einsatz von
Body-Cams in Wohnungen lehnen wir ebenfalls ab.
Besonders im Bereich der Cyberkriminalität, der Missbrauchsabbildungen und der
sexualisierten Gewalt gegen Kinder, dem Cybermobbing und der Nutzung des
Internets zur Verbreitung von Hass und Hetze sehen wir Aufgabenschwerpunkte.
Dabei setzten wir auf den Einsatz von Ermittlungsteams, die sich aus IT-
Expert*innen und Polizist*innen bilden.
Wir wollen den Kampf gegen Hate Crime entschieden angehen. Schwerpunkteinheiten
bei der Polizei und Staatsanwaltschaft müssen effektiv zusammenarbeiten. Wir
brauchen besonders geschulte Ansprechpersonen bei der Polizei, um Opfern die
Ansprache zu erleichtern. Beratungs- und Unterstützungsprogramme für Opfer von
Bedrohungen und Angriffen wollen wir stärken und eine digitale
Gewaltschutzambulanz schaffen.
Ebenso soll Hasskriminalität besser in der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik
ausgewiesen werden, um konkrete Zahlen zu erhalten.
Aber auch der direkte Kontakt zwischen Behörden und Bürger*innen verändert sich
im Zuge der Digitalisierung. Hierzu ist es wichtig, dass die Polizei für die
Bevölkerung nach wie vor ansprechbar ist – im digitalen Raum wie auch in der
realen Welt.
Die Bekämpfung von Gewaltdelikten, insbesondere Gewaltdelikte gegen Frauen,
inter*, nicht-binäre und trans* Personen sowie gegen Kinder, wollen wir noch
stärker in den Fokus nehmen. Die Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur
Verhütung und zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt sehen
wir daher als wesentlichen Bestandteil der GRÜNEN Innenpolitik.
Unser Ziel ist es, Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt erheblich zu
senken. Hierbei setzen wir auf die Opferforschung und ganz besonders den Ausbau
der Hilfs- und Beratungsangebote sowie täter- und opferorientierte Prävention.
Es gibt bereits viele polizeiliche Mittel, um häuslicher Gewalt
entgegenzuwirken. Dennoch kommt es dazu, dass die Täter*innen
Gewaltschutzanordnungen wiederholt übertreten. Deshalb fordern wir unter
anderem: Verpflichtendes Täter*innentraining auch schon nach dem ersten
Polizeieinsatz, Meldeauflagen während der Wegweisung, konsequente Sanktionen bei
Verstößen gegen Maßnahmen des Gewaltschutzgesetzes, Aufenthaltsgebote,
Unterlassungshaft bei wiederholtem Überschreiten des Kontakt- und
Näherungsverbots. Wir fordern eine gesonderte Ausweisung von kinder und
frauenfeindlichen Straftaten in der Kriminalstatistik.
Im Kampf gegen sexuelle Missbrauchsdarstellungen stärken wir die
Strafverfolgungsbehörden personell und entlasten die Beschäftigten bei der
Auswertung der beschlagnahmten Datenträger durch technische Lösungen – unter
Sicherstellung des Schutzes personenbezogener Daten der Opfer. Zudem realisieren
wir den tagesaktuellen Abgleich mit entsprechenden Datenbanken.
Um eine genauere Darstellung der Kriminalität im Land zu erlangen, wollen wir
unter Einbeziehung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft die
Kriminalitätsstatistik zu periodischen Sicherheitsberichten mit regionalem Bezug
ausbauen.
Wir wollen die Aussagekraft der Kriminalitätsstatistik auch bezüglich
gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit verbessern.
Verbrechen darf sich nicht lohnen! Organisierte Kriminalität und
Terrorismusfinanzierung sind immer noch lukrative Geschäftsfelder. Die
Bekämpfung von Geldwäsche, die Vermögensabschöpfung und die Nachverfolgung
virtueller Währungen stellen daher wichtige Handlungsfelder dar. Zur Bekämpfung
der Geldwäschekriminalität wollen wir eine Task Force von Polizei,
Steuerfahndung und Staatsanwaltschaften etablieren.
C. 10. 2. Menschenhandel
Menschenhandel existiert auch in Schleswig-Holstein. So gab es immer wieder
Fälle von Arbeitsausbeutung als auch Opfer von Zwangsprostitution. Die
konsequente Strafverfolgung dieser Form der Organisierten Kriminalität ist ein
wichtiger Baustein zur Bekämpfung von Menschenhandel. Dieser wird durch den
Opferschutz ergänzt. Um diesen Menschen eine Perspektive zu geben, müssen
Fachberatungen gestärkt und ein echtes Bleiberecht geschaffen werden. Hierfür
setzen wir uns auf Bundesebene ein. Gleichzeitig wird Schleswig-Holstein alle
Möglichkeiten ausloten, um Opfer von Menschenhandel vor Abschiebung in Tatort-
oder Herkunftsländer zu schützen und ihnen zu ermöglichen, hier ein gewaltfreies
Leben aufzubauen. Die Fachberatung für Frauenhandel sichern wir weiterhin ab.
C. 10. 3. Schutz vor und Aufklärung sexuellen Missbrauchs
Nach wie vor machen Studien, Veröffentlichungen und die öffentliche Debatte
deutlich, dass sexualisierte Gewalt innerhalb von Religionsgemeinschaften und
anderen Institutionen gründlich aufgearbeitet und durch präventive Maßnahmen
zukünftig besser verhindert werden muss. Wir erwarten, dass sich insbesondere
die Religionsgemeinschaften dazu verpflichten, ihre Strukturen in Kooperation
mit staatlichen und wissenschaftlichen Institutionen zu hinterfragen, und sowohl
ihre Angebote zur Prävention als auch solche zur Aufarbeitung vergangener Fälle
weiter ausbauen. Den verantwortlichen Organisationen stehen dafür ausreichend
eigene Mittel zur Verfügung.
Bei der Forderung nach Maßnahmen stehen wir solidarisch auf der Seite der
Betroffenen. Das umfasst für uns auch die Forderung nach einer angemessenen
finanziellen Entschädigung der Opfer. Außerdem werden wir die parlamentarische
Kontrolle der durchgeführten Maßnahmen erhöhen.
C. 10. 4. Prävention, Antirassismusarbeit und Deradikalisierungsstrategien
Die wirksamste Prävention ist eine inklusive Gesellschaft, die keinen Anlass und
Raum für die Entwicklung rechtsextremer, islamistischer, rassistischer,
diskriminierender, antidemokratischer oder menschenverachtender Einstellungen
bietet. Prävention muss daher als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gelebt werden,
die ausschließlich im vertrauensvollen Zusammenwirken von Staat und
Zivilgesellschaft funktionieren kann. Aus diesem Grund setzen wir uns dafür ein,
dass zivilgesellschaftliche Initiativen, die wertvolle Arbeit für unsere
Demokratie leisten, verlässlich finanziert und verstetigt werden. Unser Ziel ist
es, demokratiefeindlichen Tendenzen frühzeitig entgegenzuwirken.
Wir unterstützen Projekte zur Adressierung von Jungen und Männern zum Thema
toxische Männlichkeit und wollen Männerberatungsstellen aktiv in den
Gewaltschutz für Mädchen und Frauen einbinden.
Kriminalprävention ist im Kontext einer evidenzbasierten Innenpolitik ein
wesentlicher Baustein der Kriminalitätsbekämpfung. Einen Schwerpunkt legen wir
hierbei in sämtliche Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, rechtsextremen,
rassistischen, diskriminierenden und menschenverachtenden Strömungen wirksam zu
begegnen. Bestehende Deradikalisierungs-, Ausstiegs- und Präventionsprogramme
werden wir evaluieren, erfolgreiche Programme ausbauen und die Kriminal- und
Extremismusprävention sowie das Risikomanagement durch Forschung und Entwicklung
nachhaltiger Präventionskonzepte fördern. In den Kommunen wollen wir
Partnerschaften für Demokratie etablieren und dadurch den Ausbau der
kommunalpräventiven Räte um diese Facette ergänzen.
Die rechtsterroristischen Taten sowie die islamistischen Terroranschläge der
jüngeren Vergangenheit haben gezeigt, dass Europa und Deutschland unverändert im
Zielspektrum von terroristischen Einzeltäter*innen und Organisationen stehen.
Diesen sicherheitspolitschen Herausforderungen muss sich die wehrhafte
Demokratie sehr entschlossen entgegenstellen. Auch die Entwicklungen im
Zusammenhang mit den „Corona-Demonstrationen“ zeigen, dass
Verschwörungserzählungen sich zu einer echten Gefahr entwickeln können, wenn
sich Täter*innen zunehmend gegenseitig radikalisieren und beispielsweise
antisemitische oder gegen politische Funktionsträger*innen gerichtete
Gewalttaten mit ihnen legitimiert werden.
C. 10. 5. Schutz der demokratischen Zivilgesellschaft
Der Verfassungsschutz leistet eine wichtige Arbeit. Dennoch sind Reformen
dringend notwendig. Wir planen eine solche Reform des Verfassungsschutzes,
wollen unter anderem rechtliche klare Vorgaben, insbesondere für den Einsatz von
Vertrauenspersonen und zur Datenspeicherung. Zudem wollen wir die
parlamentarische Kontrolle weiter stärken
Von Rechtsextremist*innen geht erwiesenermaßen die größte Bedrohung für unsere
Demokratie aus. Der Verfassungsschutz muss seine Analysefähigkeit im Bereich des
Rechtsextremismus verbessern, um Bürger*innen angesichts der Gefahren, die von
Rechtsextremist*innen ausgehen, besser zu informieren. Wir sprechen uns
weiterhin gegen den Einsatz von bezahlten V-Leuten in den rechtsextremen
Strukturen aus, um eine Förderung der Szene zu verhindern.
Wir fordern außerdem die Ausweitung der parlamentarischen Kontrolle mit einer
Stabstelle Controlling, mehr Rechte für die Fraktionen und klare
Berichtspflichten für den Verfassungsschutz. Whistleblowing aus dem
Verfassungsschutz direkt an das Parlament muss auf sicherem Weg ermöglicht
werden.
C. 10. 6. Starker Rechtsstaat
Wir garantieren den Rechtsstaat und machen die Justiz effektiver und
bürger*innennäher. Wir wollen einen starken Rechtsstaat für alle. Wir werden mit
konkreten Projekten das Vertrauen in unseren Rechtsstaat weiter stärken. So
wollen wir unter anderem nach dem Berliner Vorbild das Projekt „Wir im
Rechtsstaat“ auch in Schleswig-Holstein einführen. Hier geben Richter*innen und
Staatsanwält*innen halbtägige Kurse, in denen Bürger*innen über ihre Rechte in
unserem Rechtsstaat aufgeklärt werden. Die Kurse werden u.a. in Vereinen,
Geflüchtetenunterkünften und Schulen stattfinden. Wie wollen das von uns in
dieser Wahlperiode erfolgreich gestartete Projekt zu Antirassismus und
Menschenrechten zur Stärkung der Strafjustiz fortentwickeln. Hierdurch sollen
alle Mitarbeitenden in der Justiz für Themen wie Migration, Religion,
Behinderung, Gender und LGBTIQ* sensibilisiert werden, um individuelle und
strukturelle Barrieren abzubauen und um weiterhin untereinander und im Umgang
mit Bürger*innen möglichst diskriminierungsfrei zu agieren.
Jeder Mensch in Schleswig-Holstein muss einfach an sein Recht kommen. Wir
wollen, dass Menschen, die aufgrund ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen
Verhältnisse nicht aus eigenen Mitteln den Rechtsweg beschreiten können, noch
besser proaktiv über ihre Rechte und Möglichkeiten zu Beratungs-, Verfahrens-
und Prozesskostenhilfe in einfacher und verständlicher Sprache aufgeklärt
werden. Wir wollen einen Zugang zum Recht in ganz Schleswig-Holstein
sicherstellen. Das bestehende Beratungshilfesystem funktioniert insbesondere auf
dem Land nicht mehr effektiv. Wir wollen daher prüfen, ob eine thematisch
umfassende öffentliche Rechtsberatung flächendeckend in Schleswig-Holstein
etabliert werden kann. Ebenso sollte zur Entlastung der Justiz eine
kostengünstige außergerichtliche Mediation im Rahmen der öffentlichen
Rechtsberatung etabliert werden. Wir setzen uns ferner für eine individuelle
Verfassungsbeschwerde zum Landesverfassungsgericht für die Grundrechte ein, die
ausschließlich durch die schleswig-holsteinische Landesverfassung garantiert
werden. Hierdurch wollen wir die Rechte der Bürger*innen auf digitale Teilhabe
und die Rechte von Minderheiten stärken.
Wir wollen Opfer von Straftaten im Rahmen unserer Rechts- und Sicherheitspolitik
stärker in den Blick nehmen. Daher wollen wir die Beratungs- und
Betreuungsangebote ausbauen und auf die Opfer von Straftaten aktiv zugehen,
anstatt sie allzu oft alleine zu lassen. Wir wollen die psychosoziale
Prozessbegleitung stärken. Der Täter-Opfer-Ausgleich soll in Zukunft eine noch
stärkere Rolle spielen.
Wir setzen uns dafür ein, dass der auf Bundesebene beschlossene Digitalpakt für
die Justiz vor Ort praktische Wirksamkeit entfaltet. Wir wollen Abläufe
effektiver, bürgernäher und schneller gestalten. Hierzu ermitteln wir
Verbesserungspotenziale in einem breit aufgestellten Prozess unter Einbindung
von Anwaltschaft, Verbänden und Bürger*innen und setzen diese um. Wir setzen uns
dafür ein, dass die Gerichte flächendeckend mit der modernsten Technik
ausgestattet werden. Es sollen in der Justiz und bei der Polizei die
Voraussetzungen für die flächendeckende Umsetzung der Vorschriften der
Strafprozessordnung zur Videovernehmung von Zeug*innen geschaffen werden.
Wir wollen eine lernfähige und leistungsfähige Justiz in Schleswig-Holstein
weiter ausbauen und fördern.
Auch die Justiz braucht eine Kultur der Ermöglichung innovativer und
serviceorientierter Ansätze. Hierzu zählen für uns eine bürgernahe Kommunikation
und Gestaltung der Verfahren oder eine moderne Form der Außendarstellung.
Gerichte und Strafverfolgungsbehörden haben mit einer hohen Arbeitsbelastung zu
kämpfen. Verfahren dauern immer noch deutlich zu lang. Hier braucht es dringend
Entlastung durch mehr Personal, gerade auch auf Ebene der nachgeordneten
Dienste. Hierzu werden wir die Mittel durch die auf Bundesebene beschlossene
Verstetigung des Paktes für den Rechtsstaat schnellstmöglich an den Gerichten
wirksam werden lassen.
Unsere Justiz muss auch weiterhin als Arbeitsplatz attraktiv bleiben. Hierfür
bedarf es einer klugen Nachwuchsgewinnung und -förderung. Wir wollen in der
Justiz mehr Teilzeit, auch in Führungspositionen, ermöglichen. Ebenso wollen
wir, dass unsere Justiz so divers wird wie unsere Gesellschaft. Insbesondere
sind Black People of Color (BPoC) unterrepräsentiert. Wir wollen sie vermehrt
für das Jura-Studium gewinnen und in ihrer Laufbahn fördern. Wir setzen uns
weiterhin dafür ein, dass Menschenrechtsbildung sowie Fortbildungen zu
Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit fester Bestandteil des Jura-Studiums,
des Referendariats und der verbindlichen Qualifizierungsmaßnahmen für
Rechtsanwält*innen, Staatsanwaltschaft und Richter*innen werden. Dies folgt dem
Ziel, Jurist*innen dazu zu befähigen, rassistische, trans-
/homosexuellenfeindliche und sexistische Straftaten als solche zu erkennen,
diese effektiv zu verfolgen und mit den Opfern solcher Taten angemessen
umzugehen. Wir werden das Jura-Studium und das Referendariat auf moderne
didaktische Grundlagen stellen, weniger belastend gestalten und an die heutige
Arbeitsrealität anpassen, etwa durch das E-Examen. Referendar*innen werden wir
außerdem eine angemessene Beihilfe zahlen. Die mündlichen Prüfungen werden wir
diskriminierungsfrei gestalten.
Wir wollen außerdem die Grundlagenfächer in der juristischen Ausbildung stärken,
kritische Rechtswissenschaft fördern und Diversity-Kompetenz als juristische
Kernkompetenz anerkennen.
Unser Rechtsstaat braucht Bürger*innen, die dessen Wirkungsweise verstehen und
unserer Justiz vertrauen. Wir wollen das Vertrauen in unseren Rechtsstaat weiter
stärken. Hierfür wollen wir die zuletzt immer wieder in die Kritik geratene Wahl
und die Beförderungsentscheidungen für Richter*innen an den Schleswig-
Holsteinischen Gerichten reformieren. Wir erarbeiten in einem ergebnisoffenen
Prozess unter Einbeziehung der Richter*innenschaft, Anwält*innenschaft und
Zivilgesellschaft von Anfang an ein für Deutschland vorbildhaftes Modell. Dieses
soll sicherstellen, dass Richter*innenwahlen in einem vertrauensbildenden,
transparenten, die Qualität und Pluralität der Richter*innenschaft sichernden
Prozess erfolgt.
Wir setzen uns auch dafür ein, dass unsere Gerichte in sehr viel stärkerem Maße
als bisher ihre Entscheidungen erklären. Hierzu werden wir die für eine
Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit notwendigen personellen
Ressourcen ausbauen.
C. 10. 7. Strafverfolgung
Das Strafrecht darf immer nur das letzte Mittel sein. Wir werden die
gesetzlichen Bestimmungen schaffen, dass in Schleswig-Holstein niemand wegen
Bagatelldelikten zu einer Haftstrafe verurteilt wird.
Zudem wollen wir die Richtlinie zur Umsetzung des § 31a des
Betäubungsmittelgesetzes anpassen und, bis zu einer endgültigen
Entkriminalisierung, den Grenzwert für die „geringe Menge“ von Cannabisprodukte
auf 20 Gramm Bruttogewicht anheben.
Auch beim sogenannten Containern sollen die Strafverfolgungsbehörden mit
Augenmaß agieren, denn Lebensmittelverschwendung ist auch bei uns in Schleswig-
Holstein ein Problem.
Ersatzfreiheitsstrafen wollen wir weitgehend abschaffen und durch ein System der
Abgeltung durch gemeinnützige Arbeit ersetzen. Die Abgeltung von (Geld-)Strafen
durch gemeinnützige Arbeit gibt der Gesellschaft etwas zurück und kann einen
stärkeren Effekt der Selbstreflexion haben. Durch den Ausbau der ambulanten
Sanktionen wollen wir freiheitsentziehende Maßnahmen reduzieren.
C. 10. 8. Strafvollzug
Wir stehen für einen modernen, resozialisierungsorientierten, evidenzbasierten
und menschenrechtsfreundlichen Strafvollzug ein. Dies dient den Interessen der
im Strafvollzug Beschäftigten, der untergebrachten Menschen und unserer
Gesellschaft als Ganze in gleichem Maße.
Wir setzen uns dafür ein, den Vollzug von Freiheitsstrafe, Jugendstrafe,
Jugendarrest, Untersuchungshaft und einstweiliger Unterbringung weiter zu
entwickeln, um das Risiko einer erneuten Straffälligkeit zu verringern und die
soziale Integration der Gefangenen und Untergebrachten zu verbessern.
Besonders wichtig ist eine nachhaltige Verbesserung der psychiatrischen
Versorgung von Strafgefangenen. Den in der JVA Lübeck geplanten Ausbau der
vollstationären psychiatrischen Versorgung werden wir kritisch begleiten, damit
er den tatsächlichen Bedarfen auch wirklich entspricht. Die bestehenden Angebote
reichen bei weitem nicht aus um die gravierenden psychischen Störungen einer
wachsenden Zahl von Strafgefangenen zu behandeln. Diese stehen unbehandelt einer
Resozialisierung massiv im Weg.
Dazu gehört insbesondere, dass die empirische Überprüfung der Strukturen,
Angebote und Maßnahmen des Justizvollzuges ausgebaut wird. Wir setzen uns für
den Aufbau eines angemessen ausgestatteten kriminologischen Dienstes für den
Justizvollzug ein. Das Leben in der Haft soll so weit wie möglich den
Verhältnissen außerhalb des Vollzugs angepasst werden. Die gesetzlichen
Voraussetzungen für die Nutzung des Internets in der Haft haben wir bereits
geschaffen. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die Umsetzung in allen
Justizvollzugsanstalten auf hohem Niveau erfolgt.
Die Justizvollzugsanstalten des Landes Schleswig-Holstein sollen dazu angehalten
werden, die von uns geschaffenen Regelungen umzusetzen. Dies gilt insbesondere
für den Aufenthalt in einer Übergangseinrichtung vor einer Haftentlassung, die
Gewährung eines Langzeitausgangs vor Haftentlassung und die nachgehende
Betreuung. Unvorbereitete Haftentlassungen stehen dem Sicherheitsinteresse der
Allgemeinheit eindeutig entgegen. Daher hat die Gewährung von Lockerungen zur
Entlassungsvorbereitung für alle Gefangenen zu erfolgen, auch wenn diese nicht
vorzeitig entlassen werden.
Ein resozialisierungsorientierter Behandlungsvollzug kann nur gelingen, wenn der
Vollzug über ausreichendes und qualifiziertes Personal verfügt. Hierfür ist
Sorge zu tragen. Das Berufsbild der Justizvollzugsmitarbeiter*innen muss auch
gesellschaftlich aufgewertet werden. Die Personalauswahl muss die kulturelle
Diversität der Gesellschaft widerspiegeln. Erforderlich sind auch Anstalten und
Einrichtungen, die den baulichen Voraussetzungen für einen zeitgemäßen Straf-
und Maßregelvollzug entsprechen. Die schleswig-holsteinischen
Strafvollzugsanstalten stammen überwiegend aus dem Anfang des letzten
Jahrhunderts – und entsprechen nicht den heutigen Anforderungen an einen
modernen Strafvollzug. Es ist daher ein Investitions- und Bauprogramm
aufzulegen, das über die kommenden 15 Jahre die Entwicklung und Umsetzung
moderner baulicher Standards sicherstellt und insbesondere die Voraussetzungen
für einen Wohngruppenvollzug, vollzugsangepasste Barrierefreiheit sowie immer
älter werdende Gefangene bietet.
Der offene Vollzug ist sowohl für den Vollzug der Freiheits- wie der
Jugendstrafe baulich, gesetzgeberisch und administrativ zu stärken. Wir wollen
die Einrichtung einer Anstalt des offenen Vollzuges, in die z. B. arbeitstätige
Verurteilte direkt in den offenen Vollzug geladen werden können. Wir wollen
prüfen, ob die bestehenden Einrichtungen des offenen Vollzuges dies leisten
können. Der Vollzugsplan ist entsprechend anzupassen.
Die Voraussetzungen für einen familienorientierten Vollzug wollen wir weiter
auszubauen. Jugendarrest ist kein Gefängnisaufenthalt. Die administrative und
räumliche Selbständigkeit des Jugendarrestes wollen wir uneingeschränkt
aufrechterhalten.
Wir wollen, dass alternative Sanktionsformen zur Haft geprüft und erprobt
werden. Wir werden in Schleswig-Holstein ein Heim der Jugendhilfe zwecks
Haftvermeidung für Jugendliche und Heranwachsende errichten. Hierfür werden wir
prüfen, ob ein Teil der Jugendhaftanstalt Schleswig entsprechend umgestaltet
werden kann.
Für psychisch kranke Untersuchungsgefangene und Strafgefangene soll ein
landesweites Behandlungskonzept erstellt werden.