Im bisherigen Programm werden die Pflegepersonen in der Langzeitpflege nicht erwähnt, obwohl es laut Statistik (www.ggrdl.de) im Jahr 2019 in Schleswig-Holstein zusätzlich zu den ca. 39.800 Beschäftigten in Krankenhäusern und im Bereich der Langzeitpflege ca. 43.700 Beschäftigte gab.
Mit der Formulierung nach der Benennung der beiden Universitätskliniken „Die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen wollen wir strukturell verbessern, um eine gute Versorgung von Patient:innen in Schleswig-Holstein dauerhaft zu gewährleisten wird diese Berufsgruppe explizit NICHT angesprochen.
Warum ist die gesonderte Nennung des Pflegepersonals in der Langzeitpflege so wichtig?
Die Arbeitssituationen in der Langzeitpflege sind aus verschiedenen Gründen häufig deutlich prekärer als in Krankenhäusern. Ein Grund ist zum Beispiel, dass es in vielen Einrichtungen keinen – funktionierenden – Betriebsrat oder eine Mitarbeiter:innen-Vertretung gibt. Und wenn es ein solches Gremium gibt, kämpfen sie häufig mit „stumpfen Schwertern“. Aufgrund der kleinen Einheitsgröße der Einrichtungen gibt es selten freigestellte Beschäftigten-Vertreter:innen, die auch ein entsprechendes Know-How im Bereich Arbeitsrecht mitbringen.
Vorhandene Gesetze und Pflichten der Arbeitgeber werden ebenso wie Vereinbarungen mit den Pflegekassen großflächig mißachtet.
Vor dem Hintergrund, dass 2017 von den Beschäftigten in der Langzeitpflege 42,3% * mindestens 50 Jahre alt waren, hat die Unterstützung der Mitarbeitergesundheit einer besonderen Bedeutung. (*Landespflegebericht – Dritter Bericht zur Altenpflege in Schleswig-Holstein)
Welche Möglichkeit gibt es, um mindestens für eine Umsetzung der vorhandenen Gesetze und Pflichten durch den Arbeitgeber sowie die Einhaltung der Vereinbarungen mit den Pflegekassen zu überprüfen und so die Basis für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf Landesebene zu sorgen?
Nach §20 Abs. 9 Selbstbestimmungsstärkungsgesetz (SbStG) in Schleswig-Holstein gibt es eine „Prüfrichtlinie für Regelprüfungen in der Altenpflege“ (https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&cad=rja&uact=8&v-ed=2ahUKEwjolZ3lttr1AhXRS_EDHTuyBpoQFnoECAgQAQ&url=https%3A%2F%2Fwww.schleswig-holstein.de%2FDE%2FFachinhalte%2FP%2Fpflege%2FDownloads%2Fpflege_PflegeUndBeglei-tung_StationaerePflege_PruefrichtlinieAltenpflege.pdf%3F__blob%3DpublicationFile-%26v%3D3&usg=AOvVaw0vEOK2hkTyu2O3Hfr-gaBx).
Es finden bereits jährliche Prüfungen durch die Heimaufsichten in den stationären Einrichtungen statt. Die Aussetzung dieser Prüfungen aufgrund von Pandemie-Geschehen sollte nicht vollständig erfolgen. Die unten genannten Prüfungen von grundlegenden Zahlen, Daten und Fakten, können auch ohne Betreten der Einrichtung überprüft werden, z.B. durch digitale oder postalische Versendung der Daten. Die Nichteinhaltung grundlegender Pflichten und Absprachen macht eine angemessene Versorgung der Pflegebedürftigen in den Pflegeeinrichtungen unmöglich.
Die obige Prüfrichtlinie kann auf Landesebene verändert werden. Somit sind auch Ergänzungen möglich, die die Einhaltung von Gesetzen, Fürsorgepflichten und Personalschlüssel überprüfen.
Beispiele:
1.
Die Dienstpläne der letzten 12 Monate müssen vorgelegt werden. Sowie die Belegungsstatistiken der letzten 12 Monate müssen vorgelegt werden.
a)
Es wird überprüft, ob und wie viele Mitarbeitende in dem genannten Zeitraum mit welchen Qualifikationen eingesetzt waren.
Entspricht der Personaleinsatz den mit den Pflegekassen vereinbarten Personalschlüsseln?
(Je Anzahl Pflegebedürftiger mit Pflegegrad 1, 2, 3, 4 oder 5 ist mit den Pflegekassen im Versorgungsvertrag von der Einrichtung verhandelt worden, wie viele Mitarbeitende mit welchen Qualifikation in der Einrichtung beschäftigt sein müssen.)
Gibt es Hinweise, dass Mitarbeitende eines Trägers in mehreren Einrichtungen aufgeführt sind?
(Es gibt zum Beispiel Qualitätsmangement-Beauftragte, die in allen Einrichtungen eines Trägers als examinierte Pflegefachpersonen in Vollzeit „auftauchen“, aber natürlich nicht vor Ort im angegebenen Umfang tätig sind.)
b)
Wie viele Mitarbeitende waren in den 12 Monaten mehr als 6 Wochen krank?
Es gibt Einrichtungen, in denen liegt der Anteil der BEM-Fälle (in 12 Monaten mehr als 6 Wochen krank - am Stück oder an einzelnen Tagen) bei 30% der Mitarbeitenden. Entsprechend gibt es nur auf dem Papier einen adäquaten Personalschlüssel, weil viele Mitarbeitende häufig fehlen.
c)
Erhalten diese Mitarbeitende ein WIRKSAMES und ATTRAKTIVES Angebot für ein Betriebliches Eingliederungsmanagement?
Wie sieht das Konzept des Betrieblichen Eingliederungsmanagements aus? (Hintergrund: Wenn überhaupt ein Angebot für ein Betriebliches Eingliederungsmanagement gemacht wird, besteht es häufig in einem Gespräch mit dem Vorgesetzten oder einem Personalverantwortlichen. Das erfüllt zwar die gesetzliche Anforderung, ist aber weder attraktiv noch wirksam, da meist mit diesen Personen Probleme bestehen)
d)
Wie sieht das Konzept für die Besetzung offener Dienste nach Fertigstellung des Dienstplans aus?
Eigentlich gilt der Dienstplan für die Mitarbeitenden als verbindlich, so dass an den freien Tage auch keine Dienstpflicht besteht. Aufgrund der knappen Mitarbeiter-Ressourcen neigen viele Vorgesetzte dazu, ihre Mitarbeitenden regelmäßig „aus dem frei“ zu holen und zum Dienst zu verpflichten – drohen mit Kündigung bei Nicht-Erscheinen. Dies führt zu einer weiteren Verschlechterung der Work-Life-Balance für die Mitarbeitenden sowie zu gesundheitlichen Belastungen durch fehlende Erholungszeiten. Da es sich um einen Dauerzustand handelt müssen hier von der Einrichtung andere Lösungen gefunden werden. Es handelt sich nicht mehr um Notfallsituationen, sondern um regelhaftes Missmanagement auf dem Rücken der Beschäftigten.
e)
Werden Feiertage mit Freizeit ausgeglichen?
Auch wenn es gesetzlich vorgeschrieben gibt, ist es in Pflegeeinrichtungen nicht unüblich bei der Installation von digitalen Dienstplanprogrammen ein Häkchen bei „kein Ausgleich“ zu setzen (oder auch bei Papier-Dienstplänen). Dies bedeutet, dass der Dienst an einem Feiertag nicht mit einem freien Tag ausgeglichen wird.
f)
Gibt es Hinweise, dass Arbeitszeitgesetze bzw. Arbeitsschutzgesetze regelhaft verletzt werden?
In manchen Einrichtungen ist es üblich, dass eine/r Mitarbeiter:in allein im 10-stündigen Nachtdienst eingeplant wird. Das hat zur Folge, dass die Person regelhaft keine wirkliche Pause machen kann – im vorgesehen Sinn, dass sie in dieser Zeit machen kann was sie möchte, um sich zu erholen.
2.
Gibt es Hinweise, dass Pflegebedürftige einen auffallend niedrigen Pflegegrad besitzen, obwohl ihre Pflegebedürftigkeit erheblich höher ist?
Manche Einrichtungen „frisieren“ Ihre Personalschlüssel, indem sie Pflegebedürftige mit einem Pflegeaufwand nach Pflegegrad 5 nicht entsprechend einstufen lassen. Das hat für die Einrichtung den Vorteil, dass weniger Personal vorgehalten werden muss. Zum Beispiel, wenn die Akquise von neuen Mitarbeitenden nicht gelingt. Die vorhandenen Beschäftigten müssen dann mit wenigen Personen viel mehr Pflegearbeit erbringen, als es unter Qualitätsaspekten sinnvoll ist. Die Gefahr von Schädigungen oder Vernachlässigungen der Pflegebedürftigen bzw. die Gefahr der Überlastung der Pflegepersonen besteht.
3.
Weitere Hinweise, was sinnvollerweise in den Prüfkatalog aufgenommen werden sollte, könnten auch entstehen, wenn die Mitarbeitenden der Heimaufsichten in Schleswig-Holstein dazu in einem Workshop befragt würden.
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